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Speisen für das Volk - Grenzsteine für die Ochsenküche

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Nur wer beim Besuch des Römerbergs ganz genau hinschaut, erkennt rätselhafte Steine im Pflaster.

Auf dem Römerberg gibt es viel zu sehen: Da ist das prächtig verzierte Rathaus, die altehrwürdige Nikolaikirche und der Gerechtigkeitsbrunnen. Hier ist immer etwas los, und meistens sind so viele Fußgänger unterwegs, dass man seine Augen offenhalten muss, um nicht in jemanden hineinzulaufen. Richtet man dennoch den Blick auf den Boden, hat man die Chance, einen Pflasterstein zu sehen, der nicht ist wie die anderen, denn er trägt eine Inschrift: OK steht in Großbuchstaben darauf.

Das heiße weder „okay“, noch seien es Initialen einer Frankfurter Persönlichkeit, erklärt Gästeführer Sören Appuhn, der das Areal vor der Alten Nikolaikirche nach einem solchen Stein absucht. Er sagt: „OK steht für Ochsenküche.“ Und wo soll diese Ochsenküche sein? Appuhn: „Es sind insgesamt vier mit OK gekennzeichnete Steine hier auf dem Platz, die in etwa ein Rechteck markieren sollten.

In diesem markierten Bereich wurde für die Kaiserkrönungen über zwei Jahrhunderte hinweg die Ochsenküche aufgebaut, in der für das Volk Ochsen am Spies gebraten wurden.“ Es ist nicht so, dass die Frankfurter mit Freibier und Ochsenfleisch am Spies versorgt wurden. Doch es gab von 1562 bis 1792 immerhin zehn Kaiserkrönungen in der Stadt – zu diesen Gelegenheiten ließen sich die Veranstalter nicht lumpen. Bei der zweiten Kaiserkrönung, die 1612 stattfand, sei die Stadt großzügig gewesen, erzählt Appuhn: „Es wird berichtet, dass Wein aus dem Gerechtigkeitsbrunnen kam, roter und weißer – getrennt interessanterweise! – und es gab für das leibliche Wohl Ochsen, die am Spies gebraten wurden.“

Zu den Königswahlen und Kaiserkrönungen kamen die Kurfürsten mit ihrem Gefolge, weitere Gesandtschaften sowie sehr viele Schaulustige nach Frankfurt, sie wurden davon sozusagen magnetisch angezogen. Zum einen gab es ein ausgedehntes gesellschaftliches Leben und zum anderen musste für die Sicherheit, Unterbringung und Verköstigung der Gäste gesorgt werden – eine solche Veranstaltung kostete daher sowohl den zu Krönenden als auch den Krönungsort viel Geld.

Und das gefiel nicht jedem. Frankfurt war eine freie Reichsstadt. Das heißt, der Rat der Stadt stellte die Regierung, deren Handeln und Beschlüsse wurden von den Zünften aber kritisch verfolgt. In der Zunft der Fettkrämer war Vinzenz Fettmilch, ein Lebkuchenbäcker und radikaler Wortführer des Zunfthandwerks, Mitglied. Er kam nicht aus Frankfurt, aber er hatte eine Frankfurterin geheiratet und damit das Bürgerrecht erworben. Fettmilch sah sich an, wie die Stadt waltete und wirtschaftete, und stieß auf die enormen Kosten, die durch die Kaiserkrönung hervorgerufen wurden.

Er fragte sich, wo eigentlich das Geld dafür herkomme, und verlangte, in die Kassenbücher schauen zu dürfen, was der Rat der Stadt aber nicht zuließ. „Aus gutem Grunde, denn da waren nur rote Zahlen drin“, erklärt Appuhn. „Also wurden die erst einmal geschlossen gehalten. Vinzenz Fettmilch hatte aber eine große Gefolgschaft, die gegen die hohen Kosten angehen wollte.“ Die bestand aus Bürgern, hauptsächlich Handwerkern, die neben der Offenlegung der städtischen Privilegien weitere Forderungen hatten, wie zum Beispiel Zinssenkungen. Als der Rat nicht reagierte, stürmten die Handwerker unter Vinzenz Fettmilch den Römer und hielten Ratsherren vom 5. bis 8. Mai1614 in der Ratsstube fest.

„Das war natürlich dem Kaiser wiederum nicht recht. Schließlich war Frankfurt als freie Reichsstadt dem Kaiser untergeben, und da die Regierung festzunehmen – das ging nicht“, sagt Sören Appuhn. Ein Gesandter des Kaisers erwirkte die Freilassung des Rates der Stadt und „verkündete die Order, dem alten Rat sei Gehorsam zu leisten und die Bürger hatten sich von den Aufständischen fernzuhalten“, wie Erich Helmensdorfer schreibt. Ab dann ging alles vermeintlich seinen gewohnten Gang – aber unter der Oberfläche brodelte es. Vinzenz Fettmilch war weiterhin aktiv, doch nun stand er selbst unter Beobachtung. Wenige Monate später machte er wieder gewaltig Stimmung – allerdings in eine ganz andere Richtung: gegen die jüdische Bevölkerung.

Zwölf Prozent Zinsen

Die Juden lebten getrennt von der christlichen Bevölkerung in der Judengasse, und die war zum damaligen Zeitpunkt ganz und gar überfüllt. Fettmilch lancierte das Gerücht, dass die jüdischen Bankiers einen Zins von sage und schreibe zwölf Prozent für ihre Kredite nehmen würden. Sechs Prozent waren erlaubt. Die Stimmung kochte hoch. Am 22. August 1614 führte Fettmilch den Sturm auf die Judengasse an. Die Juden wurden aus ihren Häusern vertrieben, die Gebäude teilweise zerstört und geplündert.

Später kamen die Juden unter kaiserlichem Schutz zurück. „Vinzenz Fettmilch hat erst mal wieder seine Lebkuchen gebacken. Der Rat der Stadt hat sich zusammengesetzt, um zu überlegen, wie man Fettmilch bestrafen könne. Auf einmal war man sehr kreativ, hat verschiedenste Taten zusammengetragen. Unterm Strich stand die Todesstrafe“, berichtet Sören Appuhn. Es gab zwei Hinrichtungsorte in Frankfurt: die Hauptwache und den Rossmarkt. Auf letzterem wurde Fettmilch Ende Februar 1616 gerichtet.

Es war ein Schauprozess. Zwei seiner Finger trennte man ab, dann wurden ihm und seinen drei engsten Helfern die Köpfe mit dem Schwert abgeschlagen. Nachdem er mit Hilfe von vier Pferden gevierteilt worden war, wurden die vier Teile am Galgen aufgehängt, der im Westen der Stadt stand. Das diente der Abschreckung. Die Köpfe von ihm und seinen Helfern wurden auf der Alten Brücke auf Eisenstangen an dem Brückenturm aufgespießt. Auf der Frankfurter Seite, zum Main hin schauend, „begrüßten“ sie von 1616 bis 1802 jeden, der von Sachsenhausen herkam.

Genau hinschauen

Zur Zeit von Johann Wolfgang von Goethe muss noch ein Schädel vorhanden gewesen sein. Heute ist er nicht mehr erhalten. Sören Appuhn sagt: „Aber den Platz, auf dem die Ochsenküche sich befand, kann man anhand der vier OK-Steine im Pflaster finden. Man muss nur ein bisschen suchen.“

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